Der Archäologe Dr. Wolfgang Gaitzsch vom LVR-Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland (Außenstelle Titz) leitete die Ausgrabung des Brunnens aus der Zeit der Bandkeramik.
Pressemitteilung, Hambach/Merzenich, 5. Juli 2011
Archäologen des LVR-Amtes für Bodendenkmalpflege im Rheinland haben bei Merzenich-Morschenich (Kreis Düren) den bislang tiefsten aus der Steinzeit stammenden Trinkwasserbrunnen Europas entdeckt. Der etwa 7.100 Jahre alte Kastenbrunnen aus Eichenbohlen reichte über 15 Meter tief in den Boden. Er ist einer von drei erhaltenen steinzeitlichen Brunnen im Rheinland und wurde im Vorfeld des Braunkohlentagebaus Hambach ausgegraben. Heute wurde das unterste Stück des Brunnens als Block geborgen. Mit Spannung erwarten die Archäologen nun Funde aus dem seinem Erdinhalt.
Entdeckt hatten die Fachleute des LVR-Amtes für Bodendenkmalpflege im Rheinland den Brunnen in einer Siedlung aus der Jungsteinzeit unweit des Dorfes Merzenich-Morschenich. Der Brunnen war ihnen zunächst als flache Geländemulde im Boden aufgefallen. Das Holz der oberen Schichten war im Laufe der Jahrtausende komplett vergangen. Erst in über 13 Metern Tiefe stieß das Grabungsteam des LVR dann auf gut erhaltene Holzreste: In der Grundwasser führenden Kies- und Sandschicht haben sich die pechschwarzen Eichenbohlen unter Sauerstoffabschluss erhalten.
Zum Bau des Brunnens hatten die frühen Siedler einen trichterförmigen Schacht gegraben; sein Durchmesser verringerte sich von rund zwölf Metern auf etwa zwei Meter im Sohlenbereich. In diesem Schacht wurde der Holzkasten nach Zimmermann-Art von unten nach oben gebaut. Im erhaltenen Bereich betrugen die Abmessungen des Kastens etwa 1,60 zu 1,60 Meter. Der wissenschaftliche Grabungsleiter Dr. Wolfgang Gaitzsch: "Es handelt sich um eine technische Meisterleistung. Die Erbauer mussten rund 1.000 Kubikmeter Sand und Kies aus dem 15 Meter tiefen Schacht befördern. Der Brunnenkasten wurde von ihnen abgedichtet und auch gewartet."
Der jetzt freigelegte Brunnen ist der zweite von außergewöhnlicher Tiefe, der im Rheinland entdeckt wurde. 1990/91 hatten die Archäologen des LVR bei Erkelenz-Kückhoven im Kreis Heinsberg einen 5090 vor Christus errichteten 13 Meter tiefen Brunnen entdeckt. Der Brunnen von Morschenich ist daher mit 15 Metern der tiefste steinzeitliche Brunnen Europas.
Der Brunnen liegt im Zentrum einer Großsiedlung aus der Bandkeramik. Der Zeitabschnitt von etwa 5.500 bis 4.900 vor Christus wird so genannt, weil es seinerzeit in Mitteleuropa Mode war, handgeformte Tongefäße mit eingeritzten Bandverzierungen zu schmücken. Prof. Dr. Jürgen Kunow, Leiter des LVR-Amtes für Bodendenkmalpflege im Rheinland: "Eine herausragende Bedeutung für die Archäologie im Rheinland haben die Bandkeramiker deshalb, weil sie die ersten Menschen waren, die hier feste Häuser und Siedlungen errichteten, von denen aus sie ihre Felder bestellen konnten und Viehhaltung betrieben." Die Archäologen sehen in dem Brunnenfund eine Bestätigung mehr, dass die rheinischen Steinzeitbauern technisch in der Lage waren, sich unabhängig von Bächen mit Frischwasser zu versorgen.
Rund 7100 Jahre alt ist das Holz des Brunnens. Foto (von links): Milena Karabaic, Kulturdezernentin des LVR, Hans-Joachim Bertrams, Tagebauleiter RWE, Dr. Wolfgang Gaitzsch, wissenschaftlicher Leiter der Grabung.
Milena Karabaic, Kulturdezernentin des LVR: "Im Rheinland befindet sich die am besten untersuchte bandkeramische Siedlungskammer in Mitteleuropa. Mit den neuen Großsiedlungen im Umfeld des Tagebaus Hambach, die komplett mit Siedlung, Brunnen und Gräberfeld ausgegraben wurden, mehren sich auch unsere Erkenntnisse über die Zeit der sogenannten Bandkeramiker, in der sich die ersten Bauern hier bei uns niedergelassen haben. Ich bin beeindruckt, was die Menschen damals schon geleistet haben."
Von der nun beginnenden behutsamen Freilegung des sehr stark verdichteten Bodensatzes in dem als Block geborgenen untersten Brunnenteil erhoffen sich die Wissenschaftler weitere Erkenntnisse über die Lebensweise in der Siedlung. Die bisherigen Funde im Brunneninnern, darunter zum Teil verzierte Scherben von Gefäßen, Feuersteinklingen, Bruchstücke von Steinbeilen und Reibsteinen, sowie Getreidekörner, Insekten und Tierknochen lassen die Wissenschaftler auf weitere spannende Entdeckungen hoffen.
Beteiligt an den Analysen und der Konservierung sind die Universität Köln mit dem Labor für Archäobotanik und dem Labor für Dendroarchäologie sowie das LVR-LandesMuseum Bonn mit seiner Restaurierungswerkstatt.
Der unterste Teil des Brunnens wurde, in Stahlplatten eingepackt, als ganzer Block abtransportiert. In einer Halle wird er nun vorsichtig von Wissenschaftlern untersucht.
Die spektakuläre Bergung des untersten Brunnensegments hat der Tagebau Hambach organisiert. Tagebauleiter Hans-Joachim Bertrams von RWE Power: "Wir arbeiten eng mit dem LVR zusammen und unterstützen die Archäologie seit vielen Jahren. Es war uns ein Herzensanliegen, mit unserem technischen und logistischen know-how diesen Brunnen sichern zu können."
Einige Hölzer des Brunnens mit den ersten Fundstücken sowie Funde aus der jungsteinzeitlichen Siedlung, zu der der Brunnen gehörte, werden am Samstag, 9. Juli, beim "Tag der Archäologie" in der Außenstelle Titz-Höllen des LVR-Amtes für Bodendenkmalpflege der Bevölkerung präsentiert.
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Alle Fotos: Jürgen Vogel, LVR
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